Veröffentlicht:
17. Mai 2022
Zuletzt aktualisiert:

Versorgungssicherheit in Deutschland unabhängig von russischem Gas und Öl

2021 bezog Deutschland 55 Prozent seiner Erdgas-, 35 Prozent seiner Erdöl- und 50 Prozent seiner Steinkohleimporte aus Russland. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine setzte eine Zeitenwende ein – auch in der Energieversorgung. Es ist nun dringlicher denn je unabhänig vom Import fossiler Brennstoffe zu werden.

Deutsche Importe im Jahr 2021

Gas ist eine Schlüsselkomponente für viele industrielle Prozesse, liefert Wärme für die Hälfte der 41,5 Millionen Haushalte in Deutschland und trug im vergangenen Jahr 15,3 Prozent zur Stromerzeugung bei. 95 Prozent des Gasverbrauchs und 98 Prozent des Ölverbrauchs in Deutschland werden durch Importe gedeckt. Erdöl deckte 2021 fast ein Drittel des Primärenergieverbrauchs in Deutschland, vor allem im Verkehr. 2021 wurden in dem Sektor noch immer 85 Prozent des Energiebedarfs im Verkehr durch Erdöl gedeckt.

Im April zahlten die europäischen Länder für Kohle, Öl und Gas an russische Energielieferanten fast eine Milliarde Euro pro Tag . Seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine steht Deutschland jedoch unter zunehmenden Druck, sich den anderen europäischen Ländern anzuschließen und Sanktionen gegen russische Energielieferanten zu verhängen. 

Dies ist jedoch kein leichtes Unterfangen, denn ein plötzlicher Lieferstopp aus Russland würde große wirtschaftliche Folgen mit sich bringen. Eine direkte Auswirkung wäre der Anstieg der Strompreise, der das bereits im letzten Jahr erreichte Rekordniveau noch übersteigen würde. Genau genommen haben sich die Kosten für die Stromerzeugung aus fossilen Gaskraftwerken im Jahr 2021 fast versiebenfacht. 

Warum wirken sich die steigenden Gaspreise so stark auf die Strompreise aus?

Bei der einheitlichen Preisbildung auf den EU-Stromgroßhandelsmärkten führt ein Anstieg der Gaspreise auch zu einem Anstieg der durchschnittlichen Stromgroßhandelspreise, da die teuerste Stromquelle, die genutzt wird, den Preis bestimmt. Gaskraftwerke sind eine sehr teure Stromquelle und werden nur dann eingesetzt, wenn andere Kraftwerke und erneuerbare Energien die Gesamtnachfrage nicht decken können. Mit einem Anstieg der installierten Kapazität von PV- und Windkraftanlagen werden sich diese Stunden kontinuierlich verringern. Gleichzeitig wird aber durch die Zunahme der E-Mobilität und des elektrischen Heizens auch der Strombedarf und damit der Bedarf an Strom aus Gaskraftwerken steigen. 

Energieversorgung, die sicher und bezahlbar ist, ist für viele Deutsche aktuell das beherrschende Thema, wie eine Forsa-Umfrage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen zeigt. 18 Millionen Menschen in der Region gingen am 15. Mai zur Wahl und die Grünen konnten ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl 2017 um 11,8 Prozent steigern. Ihre Ziele, bis 2040 klimaneutral zu werden und bis 2035 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, kommen bei den Bürgern offenbar gut an. 

Neue Ziele für erneuerbare Energien im deutschen Osterpaket skizziert

Auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung im vergangenen Monat die größte energiepolitische Reform seit Jahrzehnten auf den Weg gebracht, die den Ausbau von Wind- und Solarenergie „auf ein völlig neues Niveau“ heben soll. Die als „Osterpaket“ bezeichnete Reform zielt darauf ab, neue Flächen für die Ökostromerzeugung freizugeben, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und den Ausbau von Wind- und Solaranlagen massiv zu steigern. 

Der Verzicht von fossilen Brennstoffen trotz drohender Engpässe ist jedoch leichter gesagt als getan. 

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Deutschland den russischen Anteil bei Ölimporten von 35 Prozent auf 12 Prozent und bei Gasimporten von 55 Prozent auf 40 Prozent reduziert. Das Land plant, bis Ende des Jahres alle russischen Ölimporte zu stoppen und bis Mitte 2024 unabhängig von russischem Gas zu sein. Im April einigte sich die EU auf ein fünftes Paket restriktiver Maßnahmen gegen Russland, zu dem auch ein Einfuhrverbot für alle Arten von russischer Kohle gehört, das voraussichtlich Mitte August vollständig in Kraft treten wird.

Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten auch das umstrittene Pipelineprojekt Nord Stream 2 aufgegeben, neue Energiepartnerschaften mit Katar und Washington geschlossen und den Bau von Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG) zugesagt. Wenn diese LNG-Terminals später zu Drehscheiben für grünen Wasserstoff umfunktioniert werden, könnte dies mit der Zeit den Übergang des Landes zur Klimaneutralität unterstützen. Die Zeit ist jedoch nicht auf unserer Seite. 

Die plötzliche Notwendigkeit, von russischen fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden, hat nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“eingeläutet. Seiner Meinung nach hat sich der Verzicht auf den Import fossiler Brennstoffe für Deutschland fast über Nacht von einer langfristigen Umweltschutzmaßnahme zu einer Frage der nationalen Sicherheit und der kurzfristigen wirtschaftlichen Stabilität gewandelt.

Finanzminister Christian Lindner bezeichnete kurz nach Kriegsbeginn erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“, die es dem Land ermöglichen, seine Energieabhängigkeit zu verringern und gleichzeitig die Wirtschaft zu dekarbonisieren. In diesem Zusammenhang wurden 200 Milliarden Euro für Investitionen in den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, die Wasserstoffproduktion und den Bau erneuerbarer Energiequellen bereitgestellt.

Erneuerbare Energien ausbauen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduzieren

Ein neuer Bericht zeigt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Deutschland im ersten Quartal 2022 bei 50 Prozent lag - neun Prozentpunkte höher als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. 

Weltweit hat der jährliche Zubau an erneuerbaren Energien im Jahr 2021 einen neuen Rekord erreicht und ist um 6 Prozent auf fast 295 GW gestiegen. Nach Angaben der IEA wird für 2022 mit einem weiteren Anstieg um über 8 Prozent auf fast 320 GW gerechnet. Mehr erneuerbare Energien im Energiemix allein garantieren jedoch noch keine sichere Energieversorgung. 

„Der Krieg in der Ukraine ist ein weiterer von vielen Faktoren, die zeigen, dass wir den Umstieg auf erneuerbare Energien schon gestern hätten beschleunigen müssen“, sagt Willi Appler, der bei gridX für Regulatorik zuständig ist. „Die Notwendigkeit, unsere Stromsysteme zu dekarbonisieren und gleichzeitig Energiesicherheit und -unabhängigkeit zu erreichen, wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, unsere Energiesysteme zukunftssicher zu machen, indem wir alle Energieanlagen mit Intelligenz und Flexibilität ausstatten und diese Flexibilität monetarisieren, so dass die Vorteile allen Beteiligten zugute kommen.“ 

Angebot und Nachfrage im Einklang zur Verbesserung der Kosteneffizienz

„Wir müssen ... unsere Energiesysteme zukunftssicher machen, indem wir alle Energieanlagen mit Intelligenz und Flexibilität ausstatten und diese Flexibilität monetarisieren, damit die Vorteile allen Beteiligten zugute kommen.“
Willi Appler, Business Development & Regulatory Affairs, gridX

Erneuerbare Energien sind von Natur aus nicht steuerbar und saisonal – je mehr wir sie nutzen, desto flexibler und agiler muss das System sein. Da wir uns nicht auf den Import fossiler Brennstoffe verlassen können, um den zusätzlichen Energiebedarf zu decken, muss die Nachfrage wirksam gesetuert werden. Nur dadurch kann die Aufrechterhaltung des Netztgleichgewichts garantiert werden.  

Ein wichtiger Hebel ist die Schaffung von Anreizen für die Nutzer, saubere Energie dann zu verbrauchen, wenn sie am billigsten und im Überfluss vorhanden ist, und zwar durch tageszeitabhängige Tarife. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, Batterien und Elektrofahrzeuge intelligenter zu machen, indem diese Anlagen an das Netz angeschlossen und intelligente Einschränkungs- und V2G-Technologien eingesetzt werden. Die Verbraucher:innen müssen zu aktiven Marktteilnehmer:innen werden, indem sie nicht nur ihren eigenen Strom erzeugen, sondern auch für eine höhere Nutzung der grünen Energie sorgen - indem sie Energievorräte gemeinsam nutzen oder Apps zur Optimierung der Energieflüsse einsetzen.

VPPs bieten Flexibilität auf allen Ebenen

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Flexibilität in jedem Aspekt des Energiemarktes zum Tragen kommt - zwischen den Anlagen in einem Haushalt, zwischen intelligenten Stadtteilen und Elektrofahrzeugflotten und auf einer größeren Ebene zwischen Kraftwerken. Bioenergie wird eine immer wichtigere Rolle als speicherbarer Energieträger spielen. Grüne Wasserstoff- und Biomethananlagen müssen zur Unterstützung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen als saubere Lösung weiter entwickelt werden. Virtuelle Kraftwerke (VPP), die Kraftwerke und Anlagen mit dem Energiemarkt verbinden, sind ein wichtiger Weg, um Stromerzeugung und Verbrauch auf allen Ebenen besser auszugleichen. 

Die Energieunternehmen können den Wechsel in dieser wichtigen Phase unterstützen, indem sie die Energieversorgung, die Eigenerzeugung und den effizienten Verbrauch integrieren und letztlich die Kundenbeziehung flexibler gestalten. Die Nutzung der vielen verfügbaren digitalen Steuerungsmöglichkeiten und die Umstellung auf dienstleistungsbasierte Modelle werden dafür sorgen, dass die günstigeren Preise für erneuerbare Energien sowohl an die Industrie als auch an die Verbraucher:innen weitergegeben werden.

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Der Aufstieg von Dienstleistungsmodellen in der Energiewirtschaft
Um sowohl den Unternehmen als auch den Endnutzer:innen Kostenvorteile zu verschaffen und die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit zu verbessern, entwickelt sich die Energie von einer undifferenzierten Ware zu einer integrierten und häufig digitalen Dienstleistung (oder EaaS).
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